Man tut gut daran, sich das Seminarleben des 19. Jahrhunderts, wie es oben kurz skizziertist, recht anschaulich vorzustellen, bzw. sich „in den Geist der Zeit(en) zu versetzen.“ Denn nur dann kann man Entstehen, Werden und Bedeutung der Altdorfer Landsmannschaften verstehen und würdigen. Unsere Bannerweihe anlässlich des 94. Stiftungsfestes am 20. Juli 1957 im Deutschen Hof zu Nürnberg bildete einen glanzvollen Höhepunkt in der Nachkriegsentwicklung Onoldias.
Im Jahre 1956 wurde in Nürnberg ein Institut für Lehrerbildung errichtet. Für uns Onolden hatte diese Tatsache ein besonderes Gewicht, so dass sich der Verfasser veranlasst sah, im Onolden-Mitteilungsblatt wie folgt zu kommentieren:
„Mit der Errichtung des Instituts für Lehrerbildung in Nürnberg ist ein Weg aufgezeigt, der jeden Freund der Volksschule mit froher Zuversicht erfüllen muß. Für die Lehrerschaft selbst aber ist es d e r Lichtblick der letzten Jahrzehnte! Jetzt erst können wir ernstlich glauben, daß das uralte Ziel der Lehrerschaft — die akademische Bildung der Volksschullehrer — doch bald Wirklichkeit werden wird.“
So zog der aktive Verband Qnoldias am Institut für Lehrerbildung in Nürnberg ein und sah der weiteren Entwicklung mit froher Zuversicht entgegen. Der weitere Schritt ließ nicht lange auf sich warten. Im Jahre 1957 wurde die Lehrerbildung auf Hochschulebene angehoben, in Nürnberg war eine pädagogische Hochschule entstanden. Dort hielt nun die Landsmannschaft Onoldia ihren Einzug. Sie konnte junge Studenten für ihre Ziele begeistern, stellte ein gutes Verhältnis zur Leitung der Hochschule her und wurde an der Pädagogischen Hochschule Nürnberg der Universität Erlangen lizenziert.
Der Altherrnverband der Landsmannschaft hat dieser Entwicklung Rechnung getragen. Er konnte nach umfangreichen Vorarbeiten am 23. 2. 1957 beim Registergericht in Nürnberg als e. V. in das Vereinsregister eingetragen werden unter dem Namen: „Verein Onoldia Altdorf e. V. in Nürnberg.“
Es entspricht durchaus dem Charakter des alten Seminars, dass studentische Verbindungen jeglicher Art streng verboten waren. Wie kam es trotzdem bereits im Jahre 1863 zur Entstehung der Landsmannschaft Onoldia? Am Altdorfer Lehrerseminar studierten vor allem Mittelfranken, Unterfranken und Schwaben. Ihrer verschiedenen Wesensart nach war es wohl verständlich, dass sich die einzelnen Stammesangehörigen gesellschaftlich in drei Gruppen zusammenschlossen. Dieser gesellschaftliche Zusammenschluss mag schon zu Beginn der Lehrerbildung in Altdorf bestanden haben. Greifbare Formen nahm er erst in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts an.
Das Jahr 1848 war nicht ohne Auswirkung geblieben, und der frische Wind streifte auch die Seminarmauern von Altdorf. Vor allem das mehr und mehr erblühende Korporationswesen der Hochschulen mag gerade in Altdorf mit besonderer Aufmerksamkeit, ja mit Sehnsucht und Verlangen beobachtet worden sein. Dies um so mehr, als die Seminaristen bereits in Jahren gemeinsamer Ausbildung auf der Präparandenschule sich in treuer Kameradschaft und Freundschaft genähert hatten. Nun suchten sie im Seminar, älter und gereifter geworden, sich auch äußerlich enger zusammenzuschließen. „Sie wollten neben der strengen und ernsten Bildungsarbeit, die hinter den stillen Mauern des altersgrauen Seminars ihre Pflicht war, auch weiterhin das traute Band gegenseitiger Freundschaft pflegen und die oft allzu harte und allzu strenge Pflicht durch kurze Stunden geselligen und fröhlichen Zusammenseins ergänzen“.
Der genaue Zeitpunkt der Gründung unserer Landsmannschaft ist uns nicht bekannt. Es musste ja in aller Heimlichkeit vorgegangen und die Existenz der Verbindung mit allen Mitteln verschleiert werden. Irgendwelche schriftliche Unterlagen hätten den Bestand des Bundes jederzeit gefährden können. So vollzog sich der Zusammenschluss der mittelfränkischen Seminaristen zur ersten Altdorfer Landsmannschaft, zur „Landsmannschaft der Mittelfranken“ ohne jede Satzung, ohne Zwang und doch im Geiste einig vereint. Die einzige Ordnung, die Geltung hatte, war die mündliche Überlieferung, die sich von Jahr zu Jahr forterbte. Die Kraft dieser mündlichen Überlieferung reicht bis in unsere Tage hinein. Diesem Umstand haben wir es zu danken, dass trotz Fehlen jeglicher Dokumente unsere ältesten Bundesbrüder das Jahr 1863 als das Gründungsjahr der Landsmannschaft Onoldia benennen können.
Das erste Kneiplokal war beim Wirt Eckstein in der oberen Türkengasse. Die Mittelfranken nannten ihre Verbindung daher zunächst „Eckstania“.
„Hauptbestandteil der mündlichen Überlieferung war treue Freundschaft, die sich weit über das gewöhnliche Maß von Jugendfreundschaften erhob und gesellschaftliche Heranbildung des Nachwuchses. Als äußeres Zeichen der Zusammengehörigkeit fungierten einheitliche Bierkrüge und lange Pfeifen“.
Ein knappes Jahr danach schlossen sich auch die anderen Stammes-angehörigen zu Landsmannschaften zusammen. So entstanden im Jahre 1864: die „Suevia“, Landsmannschaft der Schwaben, die „Frankonia“, Landsmannschaft der Unterfranken und die „Regonia“, Landsmannschaft der Oberpfälzer. „Die Scheidung zwischen den einzelnen Landsmannschaften war schon damals eine äußerst reinliche. Es kam selten vor, dass ein Schwabe bei den Mittelfranken oder ein Unterfranke bei den Schwaben aufgenommen wurde und doch, oder gerade deshalb herrschte zwischen den einzelnen Landsmannschaften ein herzliches Verhältnis, das oft zu gegenseitiger Unterstützung, zu Einladungen und gemeinsamen Unternehmen führte. Während der Bierstunde im Speisesaal des Seminars hatten die Landsmannschaften ihre eigenen traditionellen Tische.“
„Wenig schriftliche Nachrichten künden uns von dem Leben und Treiben in den folgenden Jahren und Jahrzehnten. Die Eckstania entwickelte sich in ruhigen Bahnen. Erst zu Ende des vergangenen Jahrhunderts erzählen uns die erhaltenen Akten wieder genauer von der nun bereits als Onoldia erscheinenden Mittelfrankenkneipe. — Ein violett-weiß-violettes Band war das äußere Zeichen der Zusammengehörigkeit, strenge Disziplin, gegenseitige Hochachtung und Pflege gesunder Freundschaft sicherte den inneren Kern zu weiterem Wachsen, Blühen und Gedeihen. Wahrscheinlich war das Verbindungsleben auch ausgestaltet durch gemeinsame Pflege der Musik, denn mehrmals hören wir von einem Dirigenten der Onoldia.“
Aus dieser Zeit stammt das älteste und wertvollste Utensil unserer Landsmannschaft, das Trinkhorn, das in einer Privatwohnung vor den Kriegseinwirkungen verschont blieb. Es trägt die Jahreszahl 1884 und die Namen von 20 aktiven Onolden, dazu den Namen des Seminarlehrers Fritz, einem warmen Freund und Gönner der jungen Onolden. Unsere Alten erzählen heute noch von „ihrem“ Fritz, der viel Verständnis für sie aufbrachte und sie vom gemeinsamen Sonntagsausgang vorzeitig entließ, damit Onoldia draußen beim Waller in Weinhof ausgiebig kneipen konnte. Dorthin hatten die Onolden ihr Kneiplokal aus Sicherheitsgründen verlegt. Denn nach wie vor waren Korporationen in Altdorf bei Dimissionsandrohung verboten. Die jungen Farbenträger ließen sich nicht einschüchtern! Natürlich mussten sie stets gewärtig sein, unangenehm überrascht zu werden, und sie waren gewohnt, die nötige Vorsicht nicht außer acht zu lassen. Und so entwickelte sich ein ganz eigener Stil ihres Verbindungslebens.
Mehr als Urkunden und geschichtliche Daten zeichnet nachfolgender Bericht aus dieser Zeit davon ein anschauliches Bild:
„Unsere Kneiputensilien waren verwahrt in einer eisenbeschlagenen Kiste. Die wurde jedesmal sorgfältig abgeschlossen, und das hatte seinen guten Grund. Kneipereien waren verboten, streng sogar, und das wurde wiederholt eingeschärft. Die Entlassung stand darauf. Doch das Verbot wurde wenig beachtet. Wir zahlten wöchentlich unsere zehn Pfennige Kneipkasse an Vater Straub und freuten uns auf die sonntägliche Kneipe beim Waller in Weinhof.
Der Leibfuchs zündete seinem Leibburschen die lange Pfeife an, die unter dem Tisch hinüberreichte. Alle waren fröhlich und guter Dinge bis 18 Uhr. Schlag 19 Uhr mußte jeder im Seminar sein. In dieses Idyll schlug ein Wetter zu Lichtmeß 1907.“ Es folgt nun die ausführliche Schilderung von einem Zusammenstoß mit einem Corpsstudenten, der in Weinhof eingekehrt war und in höchst dünkelhafter Art die Onolden beschimpfte undbeleidigte. Dann fährt der Berichter fort: „Das durfte nicht hingehen, und es folgte geharnischter Protest bei Seminardirektor Fuß. Nun war Feuer im Dach. Strenge Untersuchung und Maßregelung standen zu befürchten. Vor allem mussten die Utensilien verschwinden. Sie sollten eingezogen werden. Der Pedell hatte Auftrag, und das wurde bekannt. Unser Erstchargierter sprach mich an: ‚Heute nacht musst Du nach Weinhof und die Kiste wegschaffen. Wenn die gefunden wird, geht es uns an den Kragen.‘
Also zog der Fuchsmajor bei stockdunkler Nacht beim Regen und Schneetreiben früh vier Uhr los. Der Wirt Waller wurde geweckt, der Hausknecht. Eine Viertelstunde später war die gefährliche Kiste auf einem Schubkarren unterwegs nach dem Bahnhof Ludersheim mit Frachtbrief an den Philister Hertlein in Thalmässing. Während die Kiste zum Dorf hinausgefahren wurde, kam von der anderen Seite her der Seminarhausmeister Bergmann nach Weinhof herein, um seinen Auftrag auszuführen. Ich habe ihn erkannt, er mich nicht. Der Wirt lag wieder in seinem Bett und wusste von nichts. — Gewitterschwüle im ganzen Seminar, bei der Onoldia, bei den Frankonen, bei der Suevia, der Regonia! Es folgte ein Donnerwetter in den Lehrsälen. Aufgeregte Monitoren! — ‚Sie haben sich schwer vergangen, ohne Erlaubnis bei Nacht Ihre Wohnung verlassen, die Kneipuntensilien beiseite geschafft. Sie sind entlassen!“‘
Nun konnten die Altdorfer Landsmannschaften gerade zu jener Zeit, also um die Jahrhundertwende, trotz aller Widerstände mächtig vorwärtskommen. Sie gaben sich Satzungen und schufen Philisterverbände. „Der Lehrerstand war in mächtigen Kämpfen allmählich hochgekommen und im Aufblühen begriffen. Da begann in den Landsmannschaften ein Kämpfen und Ringen um Anerkennung und Freiheit. Der Kampf erforderte eine straffere Organisation, und so wurden Satzungen geschaffen. Endlich folgte der Zusammenschluss aller ehemaliger Angehöriger der Landsmannschaften zu Alt-Herrenverbänden. Wohl hielt die Treue der einzelnen Mitglieder auch früher weit hinaus ins Leben, ja bis zum Tode, doch fehlte, wie in den Landsmannschaften selbst, straffere Organisation, die nun mit der neuen Periode einsetzte und der Aktivitas entsprechenden Rückhalt und reifere Überlegung bot. Die Alt-Herrenverbände haben wesentlich zu der nun folgenden Blüteperiode beigetragen.“
Einem anderen Bericht zufolge tauchte ein „Philisterverband Onoldia“ bereits im Jahre1904 auf. Er hatte seinen Sitz in Nürnberg. 1907 gaben sich die Onolden das dreifarbige Burschenband violett-gold-grün und den Wahlspruch „Frei ist der Bursch. In Treue fest“. Da griff der Erste Weltkrieg mit rauher Hand in das aufblühende Leben. „Am 10. Dezember 1914 erfolgte der letzte Eintrag ins Kassabuch: Liebesgaben an Bundesbrüder. Onoldia war im Felde.
5 Jahre stand das Rädergetriebe still. Erst Ende 1919 sammelten sich mehrere gesund heimgekehrte Philister wieder. Man schaute zurück: über 50 treue und tapfere Onolden waren nicht mehr zurückgekehrt. Doch wandte man den Blick auch wieder vorwärts. Schon wenige Wochen darauf wurde in Altdorf eine neue Aktivitas ins Leben gerufen, die der Revolution öffentliche Genehmigung und Anerkennung verdankte. Nun blüht neues Leben aus den Ruinen. Jeden Freitag war Onoldia-Altdorf im Nürnberger Hof versammelt zu feuchtfröhlichen Unterhaltungsabenden. Es wurde ein kleines, fleißig übendes Vereins-Orchester sowie ein kleiner Vereinschor gegründet, deklamatorische und schauspielerische Talente entpuppten sich allenthalben.
Onoldia lud zu ihren wohlgelungenen Unterhaltungsabenden auch das Lehrerkollegium des Seminars ein, um zu zeigen, dass ihre Bestrebungen nicht der Unterdrückung, sondern der Anerkennung und Förderung wert seien.
Im Mai 1922 wurde der Hauptsitz auch unserer Altdorfer Aktivitas nach Nürnberg verlegt.“